Manchmal legt man als Führungskraft ungünstige Verhaltensweisen an den Tag, ohne dass sie einem richtig bewusst werden, geschweige denn, dass man sie in Worte fassen kann. Umso besser, wenn es irgendwann einen Aha-Effekt gibt. Mir ging es zum ersten Mal so, als ich die Verantwortung für die Gesamtbanksteuerung übernahm. Zuvor war ich längere Zeit im Kapitalmarktgeschäft unterwegs. Dort hatte ich natürlich Respekt vor Marktentwicklungen gelernt, war aber auch immer von meinen eigenen „genialen“ Ideen begeistert, die ich mit großem Detailwissen perfektionieren und umsetzen wollte. Deshalb war es für mich nur folgerichtig, auch als Führungskraft fachlich tief einzutauchen, über alles im Detail informiert zu sein und ja – auch vieles vermeintlich besser zu wissen.
Der Wechsel in die Gesamtbanksteuerung war dann mit einer – aus meiner damaligen Perspektive – erstaunlichen Verantwortung verbunden, die ich allein in ihrer inhaltlichen Breite enorm beeindruckend fand. Tiefgehende Hinweise zur Lösungsfindung auf Mikroebene oder gar unreflektierte inhaltliche Vorprägungen meinerseits waren in der täglichen Arbeit ohne Aussicht auf nachhaltigen Erfolg. Vertrauen in kluge, fachlich versierte Mitarbeiter*innen war hingegen der Schlüssel zu selbigem.
Einen zweiten Aha-Effekt verbinde ich mit meinem Wechsel in den Retailvertrieb und der damit verbundenen Führung von über 2000 Menschen mit richtig viel Herzblut für ihre Kund*innen. Dass ich mich im kleinteiligen „Was“ besser zurückhielt, hatte ich schon gelernt. Überraschenderweise brauchte es aber auch gar kein „Wie“ im Sinne einer präzisen Vorgabe zur Vorgehensweise. Eine gemeinsame Orientierung an Leitlinien wie Kundenorientierung, Umsetzungsgeschwindigkeit oder Komplexitätsreduktion war sehr hilfreich. Aber niemand brauchte einen ausdetaillierten „One size fits all“-Plan von mir, wie genau denn nun Kund*innen vor Ort zu begeistern sind oder der Kiez aus der Filiale heraus bespielt werden soll.
Diese Konstellationen führten mir etwas eindrücklich vor Augen: Ich werde meiner Rolle als Führungskraft in dieser dynamischen und komplexen Welt dramatisch besser gerecht, wenn ich nicht jeden inhaltlichen Punkt, jede Vorgehensweise selber zu entscheiden versuche. Aber wieso erzähle ich das? Weil die alten Führungsmechanismen, die auch ich an den Tag gelegt habe, einfach nicht mehr in unsere neue Arbeitswelt passen. Man kann heute weniger vorhersagen oder kontrollieren. Die geübten Vorgehensweisen sind einfach nicht mehr zielführend.
Leader*innen sind für mich Menschen, die Eigeninitiative ermöglichen, Leute befähigen und die Mitarbeiterinnen auf die Reise in die Zukunft mitnehmen, dafür begeistern.
Olaf Oesterhelweg
Neues Arbeiten braucht auch eine neue Führung. Es braucht weniger Bosse und mehr Leader*innen. Das sind für mich Menschen, die Eigeninitiative ermöglichen, Leute befähigen und die Mitarbeiterinnen auf die Reise in die Zukunft mitnehmen, dafür begeistern. Aber wie wird das gelebte Wirklichkeit und vor allem für alle spürbar? Im Zuge unserer Transformation beschäftigen wir uns in der Haspa mit diesem Thema sehr intensiv, denn Führung ist ein wichtiger Hebel für unseren Kulturwandel. Auch für mich ist das ein stetiger Lernprozess, der teilweise sehr schmerzhaft sein kann. Welche drei Dinge ich auf meiner Entwicklung noch gelernt habe, möchte ich hier gern teilen.
1. Führung braucht Haltung
Ich glaube, dass die Haltung einer guten Führungskraft viel mit Demut und Würdigung zu tun hat. Demut, weil ich in unserer schnelllebigen Welt gar nicht alles selber wissen kann – und anderen somit vertrauen muss. Und Würdigung, weil ich die Fähigkeiten und Skills meiner Mitarbeiter*innen schätzen sollte. Schließlich bin ich als Führungskraft persönlich darauf angewiesen, dass sie mit mir auf die Reise gehen und auch dazu beitragen, dass wir vorankommen. Im besten Fall inspiriert das wiederum andere Kolleg*innen, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und neue Dinge für ein besseres Miteinander auszuprobieren. So verändern wir unsere Kultur Schritt für Schritt.
Die gute Nachricht: An seiner Haltung kann man arbeiten. Man kann sie bewusst verändern, verbessern und damit auch beeinflussen. Wenn ich zum Beispiel meine heutige Art zu Führen mit der von damals vergleiche, ist aus den oberschlauen Ideen und kleinteiligem Micromanagement eher ein „bei der Orientierung helfen“ und „Vertrauen schenken“ geworden.
Was mich echt positiv stimmt: Ich erlebe in unserer Haspa eine verblüffende Offenheit, sich auf die neue Art der Führung einzulassen. Das Wissen um die richtigen Ziele ist häufig schon vorhanden. Aber wie wir diese Kraft auch auf die Straße bringen, ist teilweise noch nicht klar. Hier hilft unser Transformationsteam. Es begleitet unsere Führungskräfte und uns Vorstände drei Jahre lang mit einer Serie von Workshops, um unsere neue Art der Führung Stück für Stück zu etablieren. Das kann unangenehm sein, weil sie ihre Finger natürlich direkt in die Wunden legen. Und zwar so lange, bis sich die Dinge in der täglichen Arbeit verankert haben und für alle Mitarbeiter*innen spürbar sind.
2. Führungsverhalten nicht nur leben, sondern reflektieren
Wenn man in einer Organisation die Art der Führung fundamental verändern möchte, ist ein neues Führungsverständnis allein zu wenig. Zu schnell landet dieses nämlich in irgendwelchen Schreibtischschubladen. Für eine echte Verhaltensänderung müssen wir ins Tun kommen. Nur wie? In der Haspa haben wir uns zum Beispiel auf die Fahne geschrieben, mit unseren Mitarbeiter*innen auf Augenhöhe zu sein. Ein guter Satz. Nur recht abstrakt. Eine Führungskraft sagte in diesem Zusammenhang zum Beispiel mal zu mir: „Wieso? Ich lebe das mit der Augenhöhe doch schon längst! Ich bin im ständigen Kontakt mit meinen Mitarbeiterinnen, rufe häufig an, konferiere – und erkläre ihnen dabei immer, was zu tun ist.“
Die Frage ist, ob dieses Verhalten tatsächlich auf Augenhöhe ist? Empfinden es die Mitarbeiter*innen genauso? Oder fänden sie es wertschätzender, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen und Fragen gestellt zu bekommen anstelle von Ansagen? Genau hier liegt der Knackpunkt: Interpretationsbedürftiges Verhalten wie „auf Augenhöhe“ müssen wir unbedingt reflektieren. Denn das Beispiel zeigt gut, dass es immer auch Auslegungssache ist, ob jemand das Führungsverhalten richtig lebt.
Um beim Hinterfragen zu helfen, arbeitet unser Transformationsteam mit Kompetenzkarten. Hier werden 15 Verhaltensweisen jeweils aus der Perspektive von Boss und Leader*in beleuchtet. Das richtige Verhalten wird mithilfe der Karten genau beschrieben und ist so weniger missverständlich. Durch diese Selbstreflexion können wir erkennen, was normalerweise verborgen bleibt: Unsere blinden Flecke.
3. Werte in den Mittelpunkt stellen
Werte stehen hinter unserem Verhalten. Sie sind unsere inneren Motivatoren. Wenn ich also verstehen möchte, warum jemand so handelt, muss ich mir die Werte hinter dem Verhalten ansehen. Als Leader*in sollte ich wissen, was dem einzelnen Menschen wichtig ist, was seine Wertvorstellungen sind. Denn nur so kann ich meine Mitarbeiter*innen entwickeln und ihre Potenziale heben. Aber was haben die Potenziale jetzt mit Werten zu tun? Ganz einfach: Wenn ich als Leader*in verstehe, welche Werte meinem Gegenüber wichtig sind – und wie er oder sie diese definiert, kann ich darauf eingehen.
Nehmen wir den Wert „Sicherheit“. Ich möchte beispielsweise als fortschrittliche Führungskraft meinen Mitarbeiter*innen Verantwortung übertragen, weil ich ihre Eigeninitiative stärken will. Deshalb sage ich zu meinem Kollegen: „Übernimm gern das Projekt und mach einfach mal. Ich vertraue dir.“ Ein guter Ansatz. Aber vielleicht verunsichert genau das den Kollegen. Vielleicht würde es ihn bestärken, wenn ich als Führungskraft noch einen letzten Blick auf das Ergebnis werfe, traut sich aber nicht, das zu äußern. Seine Kollegin hingegen ist vielleicht ganz anders drauf. Sie verunsichert es eher, wenn ich als Führungskraft unbedingt noch mal ihr Endergebnis sehen will.
Dieses Beispiel zeigt: Ich kann nur auf meine Mitarbeiter*innen eingehen und sie fördern, wenn ich verstehe, was ihnen wichtig ist. Interpretationen bringen nichts. Deshalb haben wir in der Haspa ein neues Gesprächsformat eingeführt. Ein bereichsübergreifendes Team hat dies zusammen mit unserem Transformationsmanagement erarbeitet. Wir nennen es Performancedialoge. Mithilfe von Wertekarten machen Führungskraft und Mitarbeiter*in so die Verhaltensweisen hinter ihren Werten regelmäßig besprechbar. Dabei wird nicht geurteilt, welche Werte richtig oder falsch sind. Es geht darum, zu verstehen, was der Mensch gegenüber braucht, um gut arbeiten zu können.
Ich bin überzeugt, dass unser Führungsverhalten ein wichtiges Puzzlestück in unserer Transformation ist – und dieses lässt sich trainieren. Wenn wir bereit sind, an uns zu arbeiten, den Mut haben, unser Tun zu hinterfragen und verstehen, dass wir über Werte zum richtigen Verhalten kommen.
Titelbild: Unsplash